Newsletter der nmz 70 Jahre

Sehr geehrte Newsletterabonnentinnen und -abonnenten,

Wenn doch nur Technikprobleme immer so viel Zeit auffressen würden. Da ist man stundenlang damit beschäftigt, Probleme in einer Sprache zu schildern, die Menschen aus dem IT-Bereich verstehen können. Mit: “Das funktioniert nicht” kommt man nicht weit genug. Aber auch, wenn man alles irgendwie in anscheinend korrekte Sprachformen gießt, ist der Erfolg nicht gesichert. Dann heißt es, einen Workaround finden, also eine Lösung, die das Problem beseitigt, ohne das grundsätzliche Problem behoben zu haben.

In diesem Zustand befinden sich das Kulturleben gerade irgendwie auch. Die Probleme häufen sich (Corona, Energie, Kosten, Krieg) - die Lösungswege auch. Nur lösen sie meistens die Probleme nicht auf, sondern gehen mit ihnen um. 

Mir geht es dabei so, dass ich damit laufend überfordert werde. Nachrichten aus dem Kultur- und Musikleben müsste ich eigentlich nicht nur melden, sondern auf ihren Gehalt hin einordnen und kommentieren. Ob es nun um Sonderfonds geht oder um Streamingverteilungen. Aber wann findet man dafür mal Zeit, wenn man sich noch um Technikbelange bemühen muss. 

Jammer, Jammer, Jammer. Ein bester Freund von mir hat gerade das Metier gewechselt. Christoph Becher wechselt von der Orchesterintendanz des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien in die Holzwirtschaft. Meine Radioempfehlung für Sonntag abend: 22:08 – 23:00 | Ö1: Lieblingsaufnahmen des scheidenden RSO-Intendanten – Christoph Becher empfiehlt. Neue Musik aus der Ära des Orchesterintendanten des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien. Wir haben zusammen in Gießen studiert und viele Jahre in einer “WG” aus zwei Personen zusammengelebt und musiziert und gefeiert und gestritten. Es war eine wunderbare Zeit. Sein Weg ins Holz neide ich ihm natürlich etwas. 

Vor wenigen Tagen starb der Pianist, Dirigent, künstlerische Leiter, Ehemann und Vater Lars Vogt an den Folgen seiner Krebserkrankung. Sie werden es sicher mitbekommen haben. Aber wir haben das nicht mal gemeldet. Ehrlich gesagt, ich bin darüber geschockt – noch immer. 

In Erinnerung an Lars Vogt verweise ich auf das Gespräch, das Barbara Stiller mit ihm 2013 geführt hat:

Darin sagt er: „Die ganze Tragweite von dem, was Musik alles bedeuten kann, ist so vielen Menschen nie dargebracht worden. Es geht nicht nur darum, dass man sich hinsetzt und sich mal entspannt. Zu wenige dürfen spüren, wie es ist, sich auf eine ganz tiefe Weise selbst erfahren zu können. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es zu oft nur um’s Funktionieren geht. Ich appelliere regelrecht an Kinder und Studenten, sich das nicht immer einreden zu lassen. Die Kinder wachsen heute damit auf. Schon früh spüren sie den Druck, funktionieren zu müssen. Es gibt so viele Momente, in denen wir uns nur noch als Rädchen eines Uhrwerks empfinden. Wir müssen uns immer mal wieder das Recht nehmen, auch mal nicht zu funktionieren, nicht zuletzt, um uns in Ruhe fragen zu können: Will ich das eigentlich und wer bin ich eigentlich?“ 

2004 hatten wir ihm unsere 11 Fragen gestellt. Die letzte Frage:

Welche Musik soll zu Ihrer Beerdigung erklingen?
Helge Schneider: „Fitze, fitze, fatze“.

Vielleicht darf man das als Hoffnungsschimmer nehmen. Mit Lars Vogt verlieren wir nicht nur den Musiker, sondern jemanden, der durch seine menschliche Präsenz so viel Gutes auf allen Stufen des Musiklebens und des Lebens an sich bewirkt hat. Vom Kindergarten bis zur Carnegie Hall.

Jetzt schauen wir mal zusammen, dass wir unsere Hoffnungen ein bisschen zusammenkratzen und eher nicht verzweifeln. Kommen Sie gut ins Wochenende. 

Unsere Übersicht ist voller Verweise auf wundervolle Texte unserer Autorinnen und Autoren. Ich bin sehr froh, Teil dieses nmz-Teams zu sein. 


REZENSION

Kurzschlüsse im Theo-Universum – Zum neuen Essay-Band des nmz-Herausgebers Theo Geißler

Sitzt er abends unter einer funzeligen 4,5-Watt-Ökolampe, umgeben von tausenden wild bekritzelten Karteikärtchen und sucht sich passende Schmähungen, schräge Vergleiche und lustvolle Provokationen für seinen nächs-ten Kurzschluss aus? Oder sprudelt sein gigantischer Synapsenspeicher wie ein schäumender Quell, wenn er bei der Lektüre aktueller Nachrichten auf ministerielle, bürokratische oder (kultur-)politische Absurditäten und Dummheiten stößt?  … Weiterlesen


KOMMENTAR 

Moralin süß-sauer? – Ein Kommentar von Philipp Lojak zur kulturellen Aneignung

Im Herbst 2015 wurde Jennifer Scharf, Leiterin eines kostenlosen Yoga-Kurses für Menschen mit Behinderung an der University of Ottawa, Zeugin eines denkwürdigen Ereignisses. Studenten liefen Sturm gegen dieses inklusive und beliebte Angebot, ihr Vorwurf: „Kulturelle Aneignung“. Die Kursleiterin habe sich in geradezu bösartiger Absicht der von Kolonialismus und Rassismus so Leid geplagten indischen Kultur bemächtigt, sie an sich gerissen und für ihre dunklen Machenschaften missbraucht. So haben es die kanadischen Studenten natürlich nicht formuliert, aber so wurde es rezipiert – was folgte war eine Schlammschlacht im Morast des Schlachtfelds namens Social Media. … Weiterlesen 


KRITIK 

Theater Lübeck: Wagners „Lohengrin“ als munteres Intrigenspiel

Kein anderer hat in Lübeck so oft Opern inszeniert wie Anthony Pilavachi. Jetzt offerierte er seine zwanzigste Regiearbeit, unter denen Wagners Opern rein zahlenmäßig überwiegen. Der ganze „Ring“ war dabei, deren CD bei ECHO Klassik sogar mit einem Preis gekrönt wurde, auch „Tristan und Isolde“ und der „Parsifal“. Dessen Sohn, der „Lohengrin“, eröffnete nun die neue Spielzeit (4. September 22). Durch Corona kam Wagners Frühwerk jedoch erst zwei Jahre verspätet auf die Bühne, doch wie stets in besonderer Art. Weiterlesen


INTERVIEW 

Die Blockbuster werden schon noch kommen“ – GMD André de Ridder im Gespräch

Gerade ist André de Ridder (geboren 1971) von Berlin nach Freiburg umgezogen. Mit Philip Glass‘ „Einstein on the Beach“ am Theater Basel und Robert Schumanns „Szenen aus Goethes Faust“ an der Staatsoper Stuttgart hatte er bis zur Sommerpause noch zwei große szenische Produktionen dirigiert. Zeit zur Erholung bleibt dem neuen Freiburger Generalmusikdirektor nicht, denn seine mit Spannung erwartete erste Spielzeit steht an. Georg Rudiger sprach mit ihm darüber, was er am Freiburger Theater vorhat. Weiterlesen


Kubes HörBar

Michael Kube hat sich in dieser Woche Musik für gemischte Ensembles vorgenommen. Für ihn zählen Kompositionen in gemischten Besetzungen (zumal ohne Klavier) mit zu den schönsten Schöpfungen, die einem Kammermusik seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zu bieten hat. Und dabei meint er all jene Opera, die dem Titel nach als Septett, Oktett, Nonett etc. bezeichnet werden. Natürlich handelt es sich um Einzelwerke mit ganz charakteristischen Klangfarben (sowohl der Besetzung wie auch dem Personalstil nach), und dennoch weisen sie ein unüberhörbar engmaschiges Netz an Beziehungen auf.

  • Linos Ensemble: Johannes Brahms. Serenade Nr. 1 D-Dur op. 11 (rekonstruierte Originalversion von Jorge Rotter), Serenade Nr. 2 A-Dur op. 16

  • Anima Eterna Brugge: Franz Schubert. Oktett F-Dur D 803; Franz Berwald. Septett B-Dur. 

  • Oxalys: Nino Rota. Nonetto (1959/74); Hanns Eisler. Nonett Nr. 2 (1941); Bohuslav Martinů. Nonett Nr. 2 H 374 (1959)


Aus der JazzZeitung


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Martin Hufner

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