Sehr geehrte Newsletterabonnentinnen und -abonnenten, wenn Thomas Gottschalk das sagt: „Es bringt auch nix, die Regenbogenfahne zu schwenken, aber die ARD muss nach diesen ganzen Pleiten einfach den Geldhahn zudrehen. Ohne Gold kein Glitter!“ Heißt: Wir müssen uns also den Sieg beim European Song Contest erpressen. Wenn man schon Geld gibt, soll man es danken. Kann man so machen. Ist aber eher mittelklassig klug. Ohne Moos, nix los. Grenzt an einen Schutzgelderpressungsversuch. Richtig erstklassik (! – sic!) äußert sich aber im Namen von Abermillionen Menschen („Der Deutsche Musikrat engagiert sich für die Interessen von 15 Millionen musizierenden Menschen in Deutschland und ist weltweit der größte nationale Dachverband der Musikkultur“), die durch ihn vertreten werden, der Generalsekretär des Deutschen Musikrates, Prof. Christian Höppner: „Der Deutsche Musikrat rät der ARD, ihre Beteiligung am Eurovision Song Contest auszusetzen. Es braucht keine zweitklassige Show, bei der die künstlerische Qualität nur noch eine untergeordnete Rolle spielt und die sich vom ursprünglichen Gedanken des Musikwettbewerbs weitgehend entfernt hat. …“ Die Show war also zweitklassig. Weil der Beitrag aus Deutschland beim Verteilen der Punkte am Ende auf dem letzten Platz gelandet ist. Hätte man sich zu dieser These auch 2010 verstiegen, als der Beitrag auf Platz 1 landete? Hätte, hätte, Fahrradkette. Egal, aber Zweifel daran seien erlaubt. Interessant ist vielmehr, dass der Deutsche Musikrat seine Kritik damit verknüpft, „ob gerade in Hinblick auf die sich androhenden Sparmaßnahmen im Kulturangebot des ÖRR eine Umverteilung finanzieller Mittel nicht nachhaltiger und dem Bildungsauftrag zuträglicher sei.“ Die Kosten der ARD für die Teilnahme und acht Stunden Unterhaltung belaufen sich auf irgendwas zwischen 400.000 bis 500.000 Euro. Das sind etwa drei Folgen einer Vorabendserie oder etwa zwei Jahresgehälter manches Intendanten der ARD oder – schätzungsweise – sechs bis zehn Jahresgehälter von Musiker:innen in den Orchestern der ARD-Anstalten. Man fängt also an zu rechnen, in vorauseilendem Gehorsam mit dem Finger auf Initiativen der Rundfunkanstalten zu zeigen, bei denen man besser kürzen könnte. Das weckt schlafende Hunde. Wenn der gleiche Effekt zu erzielen wäre, wenn man bei jedem Orchester nur eine Geige in den Streichern wegnimmt? Gleiches Ergebnis – und hören würde man den Unterschied eher nicht. Umverteilung eben! Was man aber so gar nicht begreift. Der ESC ist so ziemlich die einzige Kulturveranstaltung über viele europäische Grenzen hinweg, bei denen man mehr oder weniger eindringlich etwas über die (Pop-)Kultur und die der Länder erfahren kann. Wie großartig allein waren die Einspielungen vor den Wettbewerbsbeiträgen, mit denen hier Kultur- und Naturstätten der Ukraine, Großbritanniens und des Teilnehmer:innenlandes verknüpft wurden, das als zweitklassig zu bezeichnen, steht dem Deutschen Musikrat allerdings natürlich frei. Es war ein Show in Sachen Stand der Veranstaltungstechnik. Die Welt zu Gast bei Freunden – hier findet es statt. Und die musikalischen Beiträge geben Anlass zur ästhetischen Streitgesprächen ohne Ende. Darüber hinaus spielt der Wettbewerb in der queeren Szene eine besondere Rolle seit jeher: Dana International, Conchita Wurst, es wird geküsst, geschmust. Man kämpft nicht gegeneinander, sondern miteinander: Und genau das ist der Sinn dieses Wettbewerbs. Ein Sieg ist Nebensache, die meisten Gewinnerstücke sind bald vergessen. Manche dafür brennen sich ein in die Popmusik- und Kulturgeschichte. Ich habe geschrieben im Twittergespräch: „Der ESC ist das, was der professionelle Sport immer nur für sich behauptet, wenn es heißt: Dabei sein ist alles. #Eurovision2023. Das ist wie beim eigenen Geburtstag. Wenn man nicht mehr selbst dabei ist, ist man tot.“ Und wie schön der Dirigent Paavo Järvi den Beitrag aus Deutschland auf Twitter kommentierte: „Satanic drag queens from the land of Beethoven“. Aber nein: Bildungsauftrag ist das, was Gottschalk und Höppner dazu machen wollen. Bei Gottschalk, okay, aber im Namen des Deutschen Musikrats: „Die öffentlichen Stimmen nach einer Kreativpause der Bundesrepublik beim ESC werden lauter.“ Was natürlich eben auch beliebig populistisch ergänzt werden kann, die wollen auch gerne den Rundfunkbeitrag absenken. Denn die öffentliche Stimme und die Kulturlandschaften! Diesen Beef musste ich leider schreiben. Denn die Gedankenwelt dahinter ist immer noch offensichtlich geprägt von einem Verständnis von (Musik-)Kultur, das sich als elaboriert und klassistisch versteht; dass man den Konkurrenzgedanken im Wettbewerb favorisiert. Dagegen stehen Nussecken, Waddehaddedudeda, Liebes-Satelliten, Max Mutzke und ein bisschen Frieden. Die rechtskonservativen Kreise dagegen haben den ESC für sich als Endgegner entdeckt und bemängeln fehlenden Nationalstolz. Aber das ist noch mal ein ganz anderes Fass. Preis der deutschen Schallplattenkritik: die Bestenliste 2/2023 ist erschienenDer Preis der deutschen Schallplattenkritik hat die zweite Vierteljahresliste des Jahres 2023 veröffentlicht. Die zur Zeit 156 Kritiker-Juroren des PdSK, aufgeteilt in 32 Fach-Jurys, haben aus den Neuveröffentlichungen des Tonträgermarktes aus dem letzten Quartal 30 Siegertitel für die Bestenliste gekürt. Weiterlesen nmz 2023/Mai – MUSIKPÄDAGOGIKLeerstellen benennen, Potenziale entfalten Unterwegs in rauen Zeiten „echt krass, und danke für die infoss“ BERICHTELiebe und Tod in geisterhaften Bildern – Giuseppe Verdis „Simone Boccanegra“ in LübeckGiuseppe Verdis „Simon Boccanegra“ war für Lübeck schon einmal projektiert, vor fast genau drei Jahren. Corona aber verhinderte, dass die Oper realisiert wurde. Sie sollte Finalstück der damals scheidenden Operndirektorin Katharina Kost-Tolmein werden, in dem Stefan Vladar, ihr Nachfolger im Amt, die musikalische Leitung gehabt hätte. Jetzt war sein Stellvertreter damit betraut, der erste Kapellmeister Takahiro Nagasaki. Er fand mit den Lübecker Philharmonikern den treffenden Ton für eine musikalisch hörenswerte Inszenierung. Weiterlesen Transparente Klangsinnlichkeit – Musikalische Sternstunden mit Benjamin Brittens „Peter Grimes“ an der Oper LeipzigDie am Anfang von Benjamin Brittens beeindruckenden Musiktheaterarbeiten stehende, moralische Fragen aufwerfende Außenseiter-Oper „Peter Grimes“, 1945 in London uraufgeführt, wurde zum ersten Mal in der Oper Leipzig in einer Neuinszenierung von Kay Link und unter der musikalischen Leitung von Christoph Gedschold gezeigt und sie wurde auf Anhieb ein überragender Publikumserfolg. Weiterlesen Temporeich bis in den Stillstand – Die „Dreigroschenoper“ am Theater Freiburg„Wir wären gut anstatt so roh, doch die Verhältnisse sie sind nicht so“, sagt Michael Borth im Freiburger Theater, nachdem er ein blödes Tänzchen hingelegt und den Dirigenten Johannes Knapp mit seiner Trillerpfeife in den Orchestergraben beordert hat. Dieser Mackie Messer kombiniert einen schwabbligen Fatsuit mit Glitzerschuhen und blonder Donald-Trump-Tolle. Dann blinken die Lichter und die Bühne bevölkert sich mit noch mehr komischen Gestalten in ähnlichen Kostümen. Die Dreigroschenoper startet mit der breit musizierten Maestoso-Ouvertüre und dem Morgenchoral „Wach auf, du verrotteter Christ.“ Weiterlesen An der Brüssler Oper La Monnaie inszeniert Oliver Py „Heinrich VIII“ von Camille Saint-SaënsWerbung für die englische Monarchie ist es nicht gerade, was Camille Saint-Saëns mit dem Opernvierakter „Henry VIII.“ bietet. Oliver Py hat den 1883 in Paris uraufgeführten und heute nahezu vergessenen Blockbuster jetzt in der La Monnaie Oper in Brüssel auf die Bühne gewuchtet. Und das mit allen Schikanen, mit denen Giacomo Meyerbeer, Fromental Halévy, Hector Berlioz, aber auch Gioachino Rossini, Verdi und Wagner mit einigen ihrer Werke die Oper so aufgerüstet haben, dass sie zur sprichwörtlichen Große Oper, also der Grand opéra wurde und für Jahrzehnte das Genre dominierte. Weiterlesen Michael Kubes HörBar #084 – NachtgesängeAus der JazzZeitungNACHRICHTENKULTURPOLITIK / MUSIKMARKT
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