Liebe Newsletterabonnent*innen, ich weiß nicht, wie oft mir der Denkfehler noch passiert, die Grundlagen unseres Grundgesetzes oder unserer oft beschworenen demokratischen Grundordnung als selbstverständlich anzusehen. Zu glauben, dass eine winzige Gruppe absurd lauter Mitmenschen vielleicht ein anderes Bild zeichnen kann, das aber nichts an dem Grundverständnis der zahlenmäßig nicht zu überschätzenden Mehrheit ändert: Dass Gerechtigkeit, Respekt, Würde, Toleranz, Offenheit, Argumente und Kritikfähigkeit zwar nicht immer sichtbar und oft in Gefahr, letztlich aber unerschütterlich sind. Manchmal bin ich pessimistisch, meist optimistisch und letztlich wohl irgendwo immer „jung und naiv“. Man könnte sich fragen, wann der Mensch aufgehört hat, Ambivalenzen auszuhalten, also auch zu akzeptieren, dass etwas von eigenem Verhalten abweichen kann und gleichzeitig gleichwertig, dass ein persönlich abstoßender Mensch durchaus Recht haben kann, dass es immer mehrere Wege gibt und in allen gute Ansätzen auch Gefahren stecken. Man sollte sich aber wohl eher fragen, wann Gesellschaften anfangen, Ambivalenzen auszuhalten oder besser zu kultivieren. Die Demokratie ist nicht unantastbar, sie ermöglicht zum Beispiel, Demokratiefeinde zu wählen, das rechtfertigt sie letztlich sogar. Aber das zeigt auch, wie wenig selbstverständlich ist, für das sie steht. Im Leitartikel zur Novemberausgabe macht unser Autor Gerhart Baum mit der Kunstfreiheit den Aufschlag, schlägt den Ball aber ins Feld unserer gesamten Gesellschaft. Menschen mit gefährlichem Gedankengut Contra zu geben, ist eine Frage der Zivilcourage. Jede anscheinend „verlorene“ Diskussion, die für die Menschenrechte im großen und kleinen geführt wurde, ist ein Gewinn. Letztlich macht die Menge die Meinung, also brauchen auch die besten Argumente jede mögliche Verstärkung. Zynischer Fatalismus gräbt diesen Werten den Boden ab. Und Inspiration braucht es. Für die nicht selbstverständliche Schönheit gesellschaftlicher Leistungen, die erbaulichen Dinge und das Glück, sich damit auseinandersetzen zu dürfen. Wer dazu eine kleine Auffrischung braucht, dem seien all die kleinen Reminder aus Christoph Bechers Oktober-Bilanz ans Herz gelegt. Ich hoffe, das mit der fehlenden Selbstverständlichkeit jetzt verstanden zu haben. Aber ich gönne mir die Naivität, zu wünschen, irgendwann die Grundlagen unseres Grundgesetzes und unserer oft beschworenen demokratischen Grundordnung mit gutem Gewissen als selbstverständlich ansehen zu können. Mathis Ubben nmz 2023/11 Die Kunstfreiheit ist immer bedroht - Zu rechten Tendenzen in Deutschland · Von Gerhart Baum
Die Kunstfreiheit ist ein wertvolles, wenn auch verletzliches Lebenselexier der Demokratie. Ich möchte zunächst zwei Komponisten zu Wort kommen lassen. „Kunst ist Maßstab für Demokratiebewusstsein, ist Ort der Demokratie“, sagt Helmut Lachenmann. Sie sei Ausdruck unserer Geistesfähigkeit, unserer Reflexionsfähigkeit, unserer Öffnungsfähigkeit und unserer ästhetischen Abenteuerbereitschaft. Ohne die Impulse der Kunst würde eine Gesellschaft verdörren. Die Kunst ist frei und ist nicht abhängig von der Zustimmung der Mehrheit. … BERICHTE / KOMMENTARE Bechers Bilanz – Oktober 2023 – Das Warten hat sich gelohnt Christoph Becher – Viel Zeitgenössisches im Oktober – auch abseits der Donaueschinger Musiktage. Ich besuche Ensembles aus Porto und Zürich, die weniger im Fokus der großen Festivals stehen, was einmal mehr die Vielfalt und Qualität der europäischen Szene insgesamt beweist. Die Krone aber verdient in diesem Monat eine Musik, die älter als 280 Jahre ist … Anmerkung MH: Da heute der 119. Todestag von Georg Trakl ist, grüße ich Christoph Becher mit einer Erinnerung an ein Gedicht des großen Lyrikers … Verklärter Herbst
Gewaltig endet so das Jahr Da sagt der Landmann: Es ist gut. Es ist der Liebe milde Zeit Sternstunde traumatisierter Frauen: Strauss’ „Elektra“ in Würzburg Roland H. Dippel – Bei der Vorstellung am 31. Oktober in der Theaterfabrik Blaue Halle war die originale Besetzung nach verschiedenen Krankheitsfällen und Ausfällen erstmals in einer Aufführung versammelt. Die Premiere von Richard Strauss’ Musikdrama „Elektra“ des Mainfrankentheaters Würzburg war bereits am 8. Oktober. Ein Triumph von Gästen, Ensemble und Orchester. … Holzhammer-Erotik samt Hanf-Nebel – Mozarts „Le Nozze di Figaro“ im Münchner Nationaltheater Wolf-Dieter Peter – Beaumarchais-da Ponte-Mozart brauchen Konkurrenz nicht zu fürchten: ihre Attacke auf die damaligen Stände-Grenzen und die darin verstrickten Menschen ist so zeitlos wahr, dass sie bis in unsere Chef-Boss-CEO-Jahre gültig bleibt. Sie wird daher derzeit meist in heutigen Kostümen vorgeführt und die Staatsoper tritt damit in Konkurrenz zum … MELDUNGEN
nmz-Stellenmarkt (aktuell)
HörBar-Jubiläum Nach fünf Jahren Hörbar der nmz eine kleine Feierstunde mit Rückblicken. In der Folge #100 stehen Alben und Werke im Mittelpunkt, die sich auf ganz eigene Weise explizit der „Einhundert“ widmen. Nicht alles ist dabei brandneu (das liegt oft genug in der Natur der Sache) – und doch ist jede Scheibe nach wie vor lieferbar. Das Hörbar–#100-Jubiläum endet mit Etüden. Man möge sich dabei bitte nichts weiter denken – nur wenige passende Werke und kaum Einspielungen waren zu finden. Hier sind es nun die 25 leichten und progressiven Stücke op. 100 von Friedrich Burgmüller. Auch in diesem Fall dürfte die Opuszahl eine Laune des Zufalls oder des Verlegers gewesen sein. Man glaubt es kaum: Diese Etüden liegen noch heute … Die Welten sind recht verschieden. Während überall gerne eine «100» gefeiert wird (so ja nun auch in der Hörbar), scheinen sich Komponisten der in der Regel um diese Zahl nicht zu kümmern. Denn schaut man einmal diverse Werkverzeichnisse durch, so findet sich kaum wirklich Herausragendes an dieser Stelle – Franz Schubert und sein Klaviertrio Es-Dur ausgenommen, allerdings ist auch das Opus 99 … Sorabji / 100 Transcendental Studies Es ist bei weitem nicht das einzige Werk enzyklopädischen Ausmaßes, das Kaikhosru Sorabji (1892–1988) in seinem langen Leben geschrieben hat. Erst jetzt und sehr langsam werden diese Kompositionen (nicht: wieder) entdeckt – wegen des immensen technischen Anspruchs wie auch des jede Aufführung sprengenden Umfangs. Die provisorische Werkliste bietet einen ganzen Fundus an ungehobenen Schätzen aus … 2 x 3 macht 4. Wer kann sich nicht an diese Milchmädchen-Rechnung erinnern, die einst Pippi Langstrumpf aufmachte? In der Musik wurde freilich schon immer gezählt, meist bis sechs oder zwölf, sei es im Hexachord, in Werkgruppen des Barock oder den zwölf Halbtonschritten der Oktave. Die «Hundert» kommt da gar nicht so oft vor, wie man vermuten könnte. … Obwohl 1991/93 entstanden, sind die 100 Grisailles von Peter Ablinger (geb. 1959) ohne die tausendjährige romanische Vergangenheit nicht denkbar. Der Titel bezieht sich nämlich auf die Fenster im Lesegang der Zisterzienser-Abtei … Unsere Autor:innen publizieren Das neue Buch von nmz-Autorin Antje Rößler Antje Rößler widmet sich in ihrem Buch der Musikgeschichte von Meiningen. Die Residenzstadt am Südhang des Thüringer Waldes war ein wichtiges kulturelles Zentrum. Hier wirkten Mitglieder der Bach-Familie sowie die Komponisten Johannes Brahms, Richard Strauss oder Max Reger. Hofkapelle und Hoftheater hatten eine europaweite Ausstrahlung. Eine Blütezeit erlebte Meiningen unter dem „Theaterherzog“ Georg II., der in seiner langen Regierungszeit zwischen 1866 und 1914 die Musik und das Theater leidenschaftlich förderte.
Aus der JazzZeitung NueJazz 23 in Nürnberg: Eine zehnjährige Erfolgsgeschichte Man hat eine Erfolgsgeschichte feiern können Ende Oktober in Nürnberg. In zehn Jahren hat sich das NueJazz-Festival vom Versuchsballon des Vereins Nürnberger Jazzmusiker zum weithin beachteten Aufgalopp nationaler wie internationaler Größen entwickelt. Auch heuer haben die Gründer und Leiter Frank Wuppinger und Marco Kühnl beim gelungenen Jubiläum ein aufsehenerregend abwechslungsreiches und … Heute (vor einiger Zeit) Erinnerungen
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