Liebe Newsletter-Abonnent*innen, nach einer Studie des Musikinformationszentrums gab es 2016 unter allen Musiker*innen einen Anteil von 22,2 Prozent Ausländer*innen. Das ist gut ein Fünftel, fast ein Viertel: Unsere Kulturbranche würde so, wie sie ist, ohne diesen Anteil nicht funktionieren können. Viele Studierende kommen schon für die Ausbildung nach Deutschland. Seit einigen Jahren nimmt in Deutschland die Reflexion über Alltagsrassismus zu: Wer sich ein bisschen damit beschäftigt merkt schnell, dass er oder sie rassistische Denkmuster und Verhaltensweisen in sich trägt — man ist nur so wenig rassistisch, wie die Gesellschaft in der man aufgewachsen ist. Manche Menschen haben die Möglichkeit, die Grenzen des Alltagsrassismus an sich selbst nachzuziehen: Eine Freundin von mir kann wählen, wie viel „Ausländer-Stereotype“ sie zulässt. Sie schreibt fehlerfrei und spricht nahezu perfektes Deutsch; dabei hat sie einen Namen, von dem ein extrem großer Teil der Deutschen nicht weiß, ob es ein Männer- oder Frauenname ist und wie er ausgesprochen wird; gleichzeitig ist ihre Haut aber „Weiß“ – und zwar Mallorca-Sonnenbrand-Weiß. Bei Wohnungssuchen während ihres Studiums verliefen Besichtigungen meist so lange uneingeschränkt, bis sie ihren Namen sagen oder eintragen musste — zeitgleich mit dem Outing als Ausländerin war die Wohnung meist „leider anderweitig vergeben“. Und es gibt Gruppen in Deutschland, die es deutlich schwerer haben, sich dem Rassismus zu entziehen: Die, „die aufgrund ihrer Hautfarbe von der deutschen Mehrheitsgesellschaft in der transnationalen Gruppe der ‚Schwarzen‘ zusammengefasst werden“, so Nepomuk Riva. In einem Artikel hat Riva, der in Würzburg die Professur für Ethnomusikologie vertritt, seine Ergebnisse aus 5 Jahren Rassismus-Forschung zusammengefasst. Was das Studium an Musikhochschulen für rassistische Probleme birgt und welche Lösungen es gibt, erzählt er in „Schwarze Stimmen in einer weißen Musikwelt“. Wie vertrackt die Sache ist — und an welche Grenzen ein Schwarz-Weiß-Denken dabei stößt — zeigt Andreas Kolb im zugehörigen Leitartikel „Rassismus fängt schon in der Übezelle an“. Wer in Deutschland aufgewachsen ist — egal welcher Herkunft, auch Sie oder Du oder ich —, ist mit rassistischem Gedankengut aufgewachsen. Es versteckt sich oft nur sehr gut. Das macht uns weder per se zu Täter*innen, noch zu Opfern einer Wokeness. Halten wir es allerdings so: Gar nicht darüber nachzudenken, ist ein bisschen schwach. Vielleicht hört es ja mit der Lektüre der Artikel nicht auf. Liebe Grüße ––– PS [MH] ––––––––– Nachgehakt und drangeblieben: Wir hatten vor einiger Zeit beim Bundesfinanzministerium nachgefragt, wie es um die steuerliche Gleichbehandlung bei den NEUSTART KULTUR-Stipendien bestellt ist und halbwegs befriedigende Antworten erhalten. In einer Pressemeldung verleiht der Deutsche Musikrat den von uns eingeforderten Klarstellungen noch einmal institutionellen Nachdruck. Das ist gut so. Abschied: Juan Martin Koch würdigt in seinem Nachruf auf Hans Huber dessen Wirken und Werk als Komponist, Pianist und Dirigent. Soziales Netzwerk Bluesky: Auf Bluesky wird die Thematik aus dem nmz-Leitartikel von Andreas Kolb und dem Text von Nepomuk Riva “Rassismus” ein wenig weitergesponnen. Leider kommt man da nach wie vor nur mit Invite-Codes rein. Für unsere Newsletter-Abonnent:innen haben wir da vier übrig. Wer zuerst kommt … https://bsky.app ––––––––––––––– nmz 2023/12-2024/01 Bis vor kurzem noch haben wir in der sogenannten „Aufmerksamkeits-Gesellschaft“ gelebt. Das Rad dreht sich weiter, und wir sind in der „Aufregungs-Gesellschaft“ angekommen. Schuld haben natürlich die Sozialen Medien. Aber nicht immer, wie eine Premiere an der Oper Frankfurt Anfang November zeigte. Für eine Intervention durch die Frankfurter Kulturpolitik waren weder protestierende Aktivist*innen noch ein Shitstorm nötig. … Eine schwarze Studentin in der Musikpädagogik fasst ihre Erfahrungen im ersten Semester an einer deutschen Hochschule mit den Worten zusammen: „Mein erstes Gefühl war, da ist niemand. Ich fühlte mich so, so allein. Ich gehöre zu keiner Gruppe. Ich bin meine eigene Gruppe, weil ich die Einzige aus Westafrika bin.“ Ein afrikanischer Gesangsstudent ist nach einem Jahr verzweifelt: „Wenn ich keine Perspektive auf eine Karriere hier habe oder wenn die Deutschen mit mir gar nichts zu tun haben wollen – warum haben sie mir ein Stipendium gegeben?“ Eine schwarze Popmusikstudentin, die in Deutschland aufgewachsen ist, bekommt in der Mensa von einem Kommilitonen zu hören: „Ich würd’ halt eh nicht richtig dazugehören, weil ich halt anders aussehe.“ Es gibt nur wenige Schwarze Studierende an Musikhochschulen, nirgendwo können sie von einer Gruppenbildung profitieren. An keiner Institution erleben sie Schwarze Lehrende, vielmehr sehen sie sich mit einem weißen Ausbildungssystem konfrontiert. Ihre Stimmen werden oft nicht gehört, obwohl immer wieder betont wird, Musik sei eine universelle Sprache, die eine verbindende Wirkung auf alle habe. Ein Beitrag von Nepomuk Riva für das Hochschulmagazin der nmz … Opake Open-Online-Opern-Optionen – Moritz Eggerts interaktives Videoopern-Computergame „Kairosis“ Rainer Nonnenmann – Schon die Ouvertüre ist ein dunkel treibender Strom aus Sehnsucht, Geheimnis, Bedrohung. Manisch rotierende Figuren ziehen durch wogende Harmonien wie in Bernard Herrmanns Musik zu Hitchcocks Filmklassiker „Vertigo“. Der Sog wird beim Live Release des interaktiven Videoopern-Computergames „Kairosis“ jedoch unterbrochen. Denn im Saal des Seilerbahn Kunst Kultur e.V. im Frankfurter Süd-Osten müssen Komponist Moritz Eggert und Klarinettist und Produzent Moritz Schneidewendt erst einmal allen Mitwirkenden danken und erklären, wie das Publikum per Abstimmung den Fortgang der von Eggert erdachten Verschwörungs-, Liebes-, Hass- und Mordgeschichte mitbestimmen kann. … BERICHTE / KOMMENTARE Unerschütterliche Musikalität – Zum Tod des Komponisten, Pianisten und Dirigenten Hans Huber Juan Martin Koch - Ein kompletter Musiker, so heißt es, ist einer, der komponieren, dirigieren und ein Instrument auf hohem Niveau spielen kann. Wenn man noch die Fähigkeit hinzunimmt, in verschiedenen Stilrichtungen gleichermaßen zu Hause zu sein, und die Gabe, sein Wissen und seinen Enthusiasmus auch unterrichtend weiterzugeben, so ist eines sicher: Hans Huber war … Bildstark, elegant, transparent und rätselhaft – Igor Strawinskys „The Rake’s Progress“ in Freiburg Georg Rudiger – Hinten der gemalte Höllenschlund mit Teufelsfratze, im Vordergrund ein Gärtchen mit weiß gestrichenem Jägerzaun und laubgesägten Bäumchen. Der Zuschauerraum setzt sich auf der Bühne fort – in den Logen sitzt der Chor und wartet gespannt auf das Spiel. Julia Röslers Bühnenbild zeigt am Freiburger Theater schon vor Beginn von Igor Strawinskys … MELDUNGEN „Gleiche Kriterien“ für die Besteuerung aller NEUSTART KULTUR-Stipendien Deutscher Musikrat – Bundesfinanzministerium bestätigt im Grundsatz die Steuerfreiheit der Stipendien. In einer der „neuen musikzeitung“ (nmz) auf Anfrage schriftlich übermittelten Stellungnahme hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) bezüglich des bisher ungeklärten Steuerstatus von NEUSTART KULTUR-Stipendien (vgl. Pressemitteilung vom 29. August 2023 des …) Deutscher Musikrat beklagt verheerende Ergebnisse der PISA-Studie 2022 Vorgestern wurden die Ergebnisse der PISA-Studie 2022 vorgestellt – die Bilanz für Deutschland ist vorhersehbar ernüchternd: Neben einem generellen Absinken des Leistungsniveaus wurde auch festgestellt, dass Bildungserfolg nach wie vor sehr stark von der sozialen Herkunft der Kinder und Jugendlichen abhängt. Hierzu Christian Höppner, Generalsekretär … Deutscher Musikrat fordert Stopp der geplanten Vergütungsveränderung von Spotify Spotify hat angekündigt, sein Abrechnungsmodell ab 2024 zu verändern: Vergütet werden sollen dann nur noch Tracks, die pro Jahr mindestens 1000 Mal von einer Mindestanzahl von User:innen gestreamt werden. Zudem Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz für Arbeitsmodell geehrt Berlin/Ludwigshafen - Der mit 20 000 Euro dotierte «Preis Innovation» 2023 der Deutschen Orchester-Stiftung geht an die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Ausgezeichnet werde das Modellprojekt «Kompetenzzentrum für Musik», mit dem der Klangkörper als erstes Berufsorchester in Deutschland ein völlig neues Arbeitsmodell erprobe, teilte die … English National Opera zieht von London nach Manchester Manchester - Nach ihrem Zwangsabschied aus London zieht die renommierte English National Opera nach Manchester. Gemeinsam mit der Region Greater Manchester arbeite man an Plänen, bis 2029 einen neuen … Weitere Meldungen:
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HörBar Gerdes: Songs and Improvisations … Mit seinen elf (auf Vinyl sind es acht) «Songs und Improvisations» legt Jan Gerdes seinem Publikum eine CD vor bei der er fließend von einer Tonsprache und musikalischen Poetik in eine andere wechselt. Bei alledem erweist er sich auf der kompositorischen Ebene als Neoimpressionist, als Eindrückesammler und -vermittler. … Ratinger Kammerchor / Motion Trio: P75 … es gibt ganz eigene Klangblüten, die ans Herz gehen wie bei «Sounds Of War» mit seinem Akkordeon-Getöse und einer Chordeklamation, die an Ausdrücklichkeit keine Wünsche offen lässt … Perplexities On Mars: Perseverances … das gelingt mit kinetischer musikalischer Energie, die aber auch Platz lässt für taumelige Abschweifungen in Klangquetschen wie in «Guhou» … … Der in New York lebende Schweizer Gitarrist hat dafür Kompositionen aufgelegt, die wie beim titelgebenden Stück «Updraft» sitzen wie ein maßgeschneiderter Anzug und die Klang- und Interaktionswelten durchspielen – selbst in den improvisierten Miniaturen … Aus der JazzZeitung Angekündigte Vergütungsänderungen bei Spotify: Deutsche Jazzunion fordert sofortigen Stopp! Redaktion JazzZeitung – Pressemeldung der Deutschen Jazzunion – ::: Die Deutsche Jazzunion unterstützt das „Statement zu angekündigten Vergütungsänderungen bei Spotify: Wir fordern sofortigen Stopp!“ von Pro Musik, das auch vom Bundesverband Popularmusik (BV Pop), dem Deutschen Komponist:innenverband, der Fair Share … Repetitionen und Reisen – Noch frische Jazz-CDs in der HörBar Huflaikhan – Fünf aktuelle Platten aus dem Jazz + etwas Keith Jarrett und ein niederländischer Komponist. Repetitionen und Reisen: Die Jazz-Rezensionen in der HörBar der neuen musikzeitung. Hely: Plode Caixa Cubo: Agôra Blick Bassy: Mádibá Tru Cargo Service: Schattenlos Leykam – Healing Place Jarrett – CPE Bach: Württembergische Sonaten De Graaff: The Forrest in April Bleiben Sie uns treu. Wenn Sie wünschen, empfehlen Sie uns per Mail weiter. Der Newsletter gibt die Meinung des Redakteurs wieder. neue musikzeitung
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