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Michael Gielen gestorben | Premieren
Michael Gielen tot. Gielen starb im Alter von 91 Jahren in Österreich. Wir haben für Sie Erinnerungen an an ihn zusammengestellt, die unsere Autoren Gerhard R. Koch, Gerhard Rohde und Wolf-Dieter Peter anlässlich seiner Geburtstagsjubiläen (70, 80, 90) und zur Verleihung des Ernst von Siemens Musikpreises 2010 verfasst haben. Vier Perspektiven auf Michael Gielen:
Gerhard Rohde: Der Dirigent und Komponist Michael Gielen wird siebzig: „(…) Michael Gielen als Orchestererzieher: nicht im Stile eines Dompteurs, sondern als Überzeugungstäter, der die Musiker auf sein musikalisches Ethos, auf den Anspruch, den das Werk an den Interpreten stellt, einschwört. (…)“
Gerhard R. Koch: Anti-Schamane – Michael Gielen zum achtzigsten Geburtstag: „(…) Gleichwohl ist kaum vorstellbar, dass Michael Gielen der Idee vom l‘art pour l‘art, Vorstellungen vom weltentrückten „Glasperlenspiel“ oder „Elfenbeinturm“ – eher altmodischen Bildern für die selbstgenügsame Isolation des Künstlers – zuneigen würde. Dies haben weder Hegel noch Adorno gemeint – und erst recht nicht Gielen. Dafür ist das Prinzip „Wahrheit“ viel zu verpflichtend. Wahrheit freilich ist für Gielen keineswegs abstrakt, kein fern idealistisches Luftgebilde, sondern konkret: Sie muss sich in der Wirklichkeit bewähren. (…)"
Wolf-Dieter Peter: „Für die Musik darf man ruhig das Gehirn bemühen“ – Dirigent Michael Gielen feiert seinen 90.Geburtstag: „(…) Gielens Musizier-Maximen „Deutlichkeit, Transparenz, Formgefühl“ waren zu erleben und entschlackten auch in den Konzerten viele Werke getreu dem Mahlerschen Diktum „Tradition ist Bewahrung des Feuers und nicht Anbetung der Asche“. Dieses Bewahren des Feuers und eine aus Intellektualität, gesellschaftspolitisch kritischer Einstellung und Wirkungsneugier entspringende Novität, die „musikalische Montage“, prägten Michael Gielens weiteres Wirken in Cincinnati, bei der Berliner Staatskapelle und vor allem dann bis 1999 als Chefdirigent des inzwischen fusioniert genannten SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg. (…)“
Gerhard Rohde: Anwalt der Moderne: „(…) Bei allem Engagement für die Neue Musik hat Michael Gielen nie die Geschichte der Musik aus dem Blick verloren. Einen Unterschied zwischen Alter Musik und Neuer Musik hat es für ihn nie gegeben. Gielens Mahler- und Bruckner-Zyklen, seine Beethoven-Interpretationen zählen zu den wichtigsten Beiträgen der Gegenwart überhaupt. Mit diesen Auseinandersetzungen wuchs auch das Orchester des Südwestrundfunks zu einem Spitzeninstrument, das sich nicht nur wendig in den Vertracktheiten avantgardistischer Partituren zurechtfindet, sondern darüber hinaus zu einem integrativen Musizierstil gefunden hat, der für die Darstellung der großen Sinfonik in Klassik und Romantik unabdingbar ist. Gielen stand dieser Sinfonik aber nie besonders ehrfürchtig gegenüber. Der philharmonische „Ton“ war ihm verdächtig, übertönte eher die Wahrhaftigkeit der Werke als dass er diese erhellte. (…)“
Premieren-Berichte
Berlin. Jörg Widmann, Babylon: Von den Grenzen der Sprache, vielmehr der Sprachverwirrung, handelt Jörg Widmanns »Babylon«. Der Komponist stellt hierin die multikulturelle Gesellschaft der vorantiken Hochkultur-Metropole ins Zentrum seiner Oper. Peter P. Pachl besuchte für die nmz die Premiere der Inszenierung an der Staatsoper Berlin.
Meiningen. Othmar Schoeck, Das Schloss Dürande: Am Staatstheater Meiningen war am 8. März eine besondere szenische Uraufführung zu erleben: Othmar Schoecks „Das Schloss Dürande“ in der Textneufassung von Francesco Micieli und der musikalischen Adaption von Mario Venzago. Ein melodisch reiches und komplexes Werk wurde zurückgewonnen. Wolfgang Molkow berichtet von der Premiere.
Weimar. Giacomo Puccini, Tosca: Puccini-Enthusiasten sollten sich diese „Tosca“ nicht entgehen lassen. Generalintendant Hasko Weber und Stefan Lano am Pult ergänzen sich ideal. Sie machen mit einem höchst beeindruckenden Sänger-Ensemble aus den eigenen Reihen (ohne Gäste!) diese Oper zur tickenden Zeitbombe und einem großartigen musikalischen Wurf. Im italienischen Kernrepertoire hörte man die Staatskapelle Weimar nur selten in derart kundiger Topform wie bei dieser hier packend und sensibel erschlossenen Puccini-Partitur. Roland H. Dippel ist begeistert.
Gera. Mieczysław Weinberg, Die Passagierin. Erst spät entdeckt, inzwischen beinahe im Repertoire: „Die Passagierin“ von Mieczysław Weinberg ist 1968 entstanden, wurde erst 2006 konzertant und 2010 szenisch uraufgeführt. Jetzt wagt sich Gera an dieses berührende Auschwitz-Thema. Michael Ernst war für die nmz dabei.
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