Sehr geehrte Abonnentinnen und Abonnenten des nmz-Newsletters,
Kaum sind die Europa-Wahlen durch, positionieren sich Gewinnerinnen und Verliererinnen der Wahlen. Es ist zwar vielleicht gar nicht einfach, auszumachen, wer nur Vorteile aus der Wahl ziehen kann, das hindert viele aber anscheinend nicht daran, Schuldige für Erfolg oder Niederlage zu bestimmen.
Da macht der letzte mediale Auftritt von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer mit ihrem Vorschlag, darüber reden zu müssen, wie man Diskussionen „auch“ im Netz zu führen habe („Worüber wir aber sprechen müssen, sind Regeln, die im Wahlkampf gelten. #Rezo #Youtuber“), keine Ausnahme. Es wirkt an sich hilflos, wie so vieles, was gesagt, geschrieben oder gefilmt worden ist. Das reicht von Absurditäten aus den Spitzenpositionen der Parteien bis hin zu den legitimen aber politisch naiven Versuchen, über Petitionen das einzufordern, was in Deutschland ohnehin grundgesetzlich garantiert ist. Aber so ist das: Panik ersetzt Analyse, Fakten ersetzen Interpretation. Der neu auflebende Geist des Positivismus (Stichwort: Fetischisierung von puren „Fakten“) entkettet von geschichtlicher Einordnung und Betrachtung von Zusammenhängen.
In den Hintergrund könnte dabei geraten, was die Parteien möglicherweise auf die Agenda setzen. Das macht die AfD in Sachsen tatsächlich das Fass auf. Martin Morgenstern hat das auf „Musik in Dresden“ gestern aufgegriffen: „Gordon Engler (AfD) formuliert unmissverständlich: „Neumodische Extravaganzen passen einfach besser zu einer Stadt wie Berlin. Dresden und seine alteingesessene Bürgerschaft sind für eine Großstadt vergleichsweise konservativ geprägt. Insoweit gilt es auf den Geschmack und die Interessen der Bürger Rücksicht zu nehmen. Die exzentrische Randgruppenkunst sollten wir daher gerne Leipzig und Berlin überlassen.“
Morgenstern kommentiert: „Lieber Jan Vogler [Leiter der Dresdner Musikfestspiele; Anm. MH]– gute Chancen sehen wir da allenfalls für „Dresden singt und musiziert“, vielleicht noch für die „Serenade im Grünen“ mit dem Kreuzchor. Für die restlichen fünfundfünfzig Veranstaltungen der Dresdner Musikfestspiele, für Jordi Savall und sein „Orient-Okzident“-Projekt mit syrischen Musikern (Gott behüte!), für den amerikanischen Glashütte-Preisträger Joshua Bell, für Triadische Ballette (rätselhafte Avantgarde-Kopfgeburt, weg damit), für Yo-Yo Ma, AuditivVokal und gerade für Veranstaltungen mit Schostakowitsch-Quartetten sieht es dagegen ganz, ganz düster aus.
Der Philosoph Harry Lehmann hat die Frage der Kunstfreiheit auch im Blick und plädiert in einem Beitrag für zeit.de für eine dritte Option der Kunstfreiheit. Er kommt zu dem Schluss: „Man kann die Kulturinstitutionen heute nur ermutigen: In einem politisch polarisierten gesellschaftlichen Umfeld sollte auch jene Kunst unterstützt werden, die quer zu linken und rechten, progressiven und konservativen Standpunkten steht. Denn sie zeigt diese Positionen in ihrer Widersprüchlichkeit, erneuert Erfahrungsmuster und Sprachspiele, die eine demokratische Meinungsbildung erst möglich machen.“
In der nächsten nmz werden wir uns ebenfalls in einem Leitartikel auch noch einmal mit dem Thema der Kunstfreiheit und seiner Gefährdung beschäftigen.
Musikleben aktuell
Bogotá liebt Brahms, Schubert und Schumann – Eindrücke vom internationalen Musikfestival in Kolumbiens Hauptstadt. Kolumbien und Klassik, das scheint - aus eurozentristischer Sicht - ein ungleiches Paar zu sein. Mitnichten, wie das Festival „Bogotá es Brahms, Schubert, Schumann“ bewies. Die Wege sind weit in Bogotá, denn die Zehn-Millionen-Stadt (verlässliche Angaben zum anhaltenden Bevölkerungswachstum gibt es nicht) hat sich in den vergangenen Jahrzehnten exorbitant in der kolumbianischen Anden-Hochebene erweitert. Eine Reportage von Michael Ernst.
Außergewöhnliches Genre: Wolfram Wagners Musik für die Passionsspiele Erl. Keine Oper, keine Schauspielmusik, kein Requiem, kein Musical: Die 2013 zum 400-Jahre-Jubiläum in Felix Mitterers Bühnenfassung uraufgeführte Auftragskomposition von Wolfram Wagner ist ein gewichtiger und wirkungsvoller Teil der alle sechs Jahre stattfindenden Passionsspiele in Erl/Tirol. Doch was für eine Funktion und was für einen Ausdrucksgehalt hat die neue Passionsmusik? Der Versuch einer Annäherung von Roland H. Dippel.
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