Sehr geehrte Newsletterabonnentinnen und -abonnenten, Heute im Fokus: Der Rezensionsteil der aktuellen nmz. Zahlreiche Noten-, Bücher- und Tonträgerrezensionen. Neue Bücher / Neue NotenWohltemperiertes Klavier aus dem Todeslager: Die 24 Präludien und Fugen von Vsevolod Zaderatsky in einer Erstausgabe. Unter den Sowjetkomponisten, die nicht emigrierten, kennen wir Schostakowitsch, Prokofieff, Chatschaturjan, vielleicht Miaskowsky, Glière, Kabalevsky, zuletzt auch Weinberg. Große Meister wie Revol Bunin, Boris Tischtschenko oder Yevgeni Stankowitsch sind bislang unbekannt geblieben. Und doch, viele der bemerkenswerten, höchst unterschiedlichen Komponisten, die seit dem Ende der Sowjetunion auch in ihrer Heimat vergessen sind, müssen im Westen erst noch entdeckt werden. Vor vier Jahren erst trat ein Komponist posthum aus dem Dunkel der kompletten Anonymität, den manche Kenner seither als Giganten empfunden haben: Vsevolod Zaderatsky (gesprochen Saderazky mit stimmhaft weichem S) wurde 1891 in Riwne unweit des einstigen Lemberg in der heutigen Nordwest-Ukraine geboren (in einem Gebiet also, das stets polnisch-russisch-ukrainisch vermischt war und damit heute symbolisch für die absurde Spaltung der „neuen Weltordnung“ stehen kann). Kleines, facettenreiches Feld beackert: Vier Gespräche zur Kompositionspädagogik in einem Band dokumentiert. Ein Gespräch gleicht einer Improvisation. Es entsteht im Moment, lässt sich weder vorausplanen noch nachträglich korrigieren. Wenn man mit Matthias Schlothfeldt unter Komposition eine „planbare Folge revidierbarer Einzelentscheidungen“ versteht (S. 102), dann ist damit ziemlich genau umrissen, was die „Weikersheimer Gespräche zur Kompositionspädagogik“ nicht sind – und vermutlich auch nicht sein wollen. „Auf’s zärtlichst von mir geliebt“ – Eine Biografie ehrt Mozarts Ehefrau Constanze: Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt schwankt sein Charakterbild in der Geschichte. Was Schiller über seinen Dramenheld Wallenstein sagt, trifft auch auf Constanze Mozart (1762–1842) zu; die Urteile über sie reichen von liebender Gattin bis zu egoistischer, raffgieriger und geistloser Frau, ja manche Urteile gaben ihr indirekt eine Mitschuld am Tode Mozarts. Der Schriftsteller Wolfgang Hildesheimer beispielsweise attestierte ihr eine „bestürzende Banalität“. Der Geniekult um den Komponisten duldete ganz offensichtlich keine bedeutende Partnerin neben ihm. Blattsingen als Traumziel: Die Kölner Chorschule für Kinder ist eine Großtat: Zu Recht schreibt Richard Mailänder in seinem Vorwort zur ersten Verlagsausgabe der Kölner Chorschule, dass das Singen von und mit Kindern in den letzten gut 100 Jahren großen Veränderungen ausgesetzt war und ist. Wenn früher ganz selbstverständlich in jeder Schule oft sogar mehrmals täglich gesungen wurde, so hat sich dies Mitte des 20. Jahrhunderts aus verschiedenen Gründen drastisch zum Schlechten hin geändert. Eine gewisse Renaissance war dann in den 1990er-Jahren zu beobachten, der aber in den letzten Jahren wieder ein Rückgang folgte, der durch die flächendeckende Einführung der Ganztagsschule und das Abitur nach acht Jahren gerade viele kirchliche und freie Kinder- und Jugendchöre vor große Probleme stellte.
CDsMultiple Identitäten: Neue CDs neuer Musik, vorgestellt von Dirk Wieschollek / Giorgio Netti, dem Finnish Baroque Orchestra und Stefan Prins Alt, laut & leise: Neuerscheinungen der Popindustrie, vorgestellt von Sven Ferchow / Whitesnake, Bad Religion, Danko Jones, Glen Hansard und Norah Jones. Jazzliebe und Schlagerlaufbahn: Jazzneuheiten, vorgestellt von Marcus Woelfle / Vor allem in Deutschland hegten Jazzfans und Kritiker lange das Vorurteil gegen Vokalisten, sie hätten den Jazz nur als Leiter zu einer ertragreicheren Karriere missbraucht. Wer sich in die Niederungen des Schlagers begab, wurde mit Verachtung gestraft. Abgesehen von der verqueren Moral, ein Künstler solle lieber verhungern als Erfolge zu feiern, übersah die „Jazzpolizei“ dabei zweierlei: Wer seine Karriere in der Swing-Ära startete, empfand Jazz als einen Teil der Unterhaltungsmusik mit Massenpublikum, daher nahm und nimmt man in den USA die Grenzen zwischen Jazz und Pop nie so genau; andererseits ließen die Plattenfirmen wenig künstlerische Freiheiten, hüben wie drüben.
HörBarGiorgio Netti: Necessità d’Interrogare Il Cielo: Eine „Erkundung ohne Zweck“, der es im besten Fall gelänge „das Ohr zu transzendieren“, wünschte sich Giorgio Netti hinsichtlich „necessità d’interrogare il cielo“ (1996/99) und das ist mehr als nur ein frommer Wunsch geblieben. Was sonst noch vielleicht wichtig war oder wird …
Radio-Tipp23:03 bis 00:00 | SWR 2 Michael Quell: „Meister Eckhart und Suhrawardi – der Klang der Schwinge des Gabriel: hikmat al ishraq“ (2017) für 4 mikrotonale Gitarren und Klavier | „Staubaggregation“ (2017) für Flöte, Kontrabass und Klavier | „Dark Matter“ (2011) für Oboe, Klarinette und Fagott | „String II – Graviton“ (2015/16) für Ensemble. Neue Studioaufnahmen von Werken des Komponisten Michael Quell aus dem Hans-Rosbaud-Studio in Baden-Baden. Die Radiowoche bis zum 23.6.2019Rückblick 19.6.2019
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