Sehr geehrte Newsletterabonnentinnen und -abonnenten,

Gestern habe ich noch an Herbert Marcuse anlässlich seines 40. Todestages erinnert. Gestern war auch Welterschöpfungstag. Nicht der Tag, an dem die Welt erschaffen wurde, sondern der Tag, an dem sie sich auf Jahressicht hin erschöpft hat. Es ist der Tag an dem die menschliche Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen das Angebot und die Kapazität der Erde zur Reproduktion dieser Ressourcen in diesem Jahr übersteigt. 

Was könnte das mit unserem Kulturleben zu tun haben? Einiges. Der Philosoph Gernot Böhme zieht eine Linie von Marcuse zur aktuellen Situation, die er als ästhetischen Kapitalismus und ästhetische Ökonomie bezeichnet. “Der Kapitalismus qua ästhetische Ökonomie ist dafür verantwortlich, dass der Mensch auch im Überfluss nie zufrieden ist und sein gesamtes Dasein unter dem Gesichtspunkt von Leistung sieht” (Gernot Böhme: Ästhetischer Kapitalismus, Frankfurt/M. 2016, S. 73). Dabei geht es aber nicht um eine Unzufriedenheit, die kreative Energien freisetzen könnte, sondern um das Gefühl, sich auch im Konsum als Wettbewerbsteilnehmer zu sehen. “Die ästhetische Ökonomie erzeugt also auf der Konsumseite eine Eskalation des Verbrauchs. Von daher werden die Menschen im Gefühl der Knappheit gehalten, obgleich sie im Überfluss leben” (ebenda, S. 74 f.). 

Das betrifft auch die Kultur selbst. So sei die “Unterhaltungsindustrie als Sektor der Konsumgüterindustrie ein Paradebeispiel dafür, die das Leistungsprinzip immer wieder verstärkt wird: Sie erweitert nämlich die Konsummöglichkeiten der Verbraucher quasi ins Unendliche(ebenda, S. 72). Aber auch nur “quasi”. Der Welterschöpfungstag hat seine Parallelen durchaus auch im kulturellen Bereich. Etwas mutwillig könnte man das im Opernspielbetrieb sehen, wo zwar die Abwesenheit von Uraufführungen beklagt wird, diejenigen aber, die es in den Betrieb hineinschaffen, mit einer Verbrauchseigenschaft ausgestattet sind, einer Art künstlichen Obsoleszenz: Sie halten nicht besonders lange. Die ganze Neue-Musik-Szene ist davon befallen, die sich permanent erneuern will (und muss) und damit das Angebot großzügig erweitert und, zack, auch schon wieder verbraucht ist. Das Neue verbraucht sich in dem Moment, in dem es erscheint. 

Ich kann es hier nur bei Andeutungen belassen. Natürlich betreffen die genannten Phänomene viele Bereiche des Lebens: Schule, Arbeitswelt, Freizeit, Bildung, Kunst, Wirtschaft. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Menschen ein Glück und eine Zukunft verheißen, die sie im Moment solcher Versprechen zugleich zerstören. Die Bedürfnisse werden nicht befriedigt, stattdessen werden Begehrnisse und Begierden erzeugt, wie Böhme weiter ausführt.

Das aber nur zur Ergänzung des gestrigen Newsletters, der ja nur Marcuse in Zitaten würdigte. Und schon kommen wir dem Informationsbedürfnis in Sachen Musik und Kultur nach. 

Unsere News!

Der VdM Musikschulkongress 2019 in Berlin zwischen Appmusik und Lebenskunst

Smartphoneorchester. Vor meinem Besuch des Deutschen Musikschulkongresses in Berlin dachte ich, dass das so ziemlich das Gegenteil von dem ist, worum es bei der Musikschularbeit geht. Statt mit Instrumenten sitzen dabei die „Musizierenden“, wie es ja gendergerecht heute heißen muss, im Halbkreis auf Stühlen, jeder mit einem Smartphone oder Tablet auf dem Schoß. Frank Armbruster in der aktuellen nmz.

Neunzigminütiger Digest – „Die Meistersinger von Nürnberg“ als Oper für Kinder in Bayreuth

Während sonst für die Sonderreihe „Oper für Kinder“ bei den Bayreuther Festspielen ungewöhnliche Raumlösungen gefunden wurden, ist in diesem Jahr auf der Hälfte der Probebühne IV des Festspielhauses erstmals eine steile Tribüne errichtet. Auf der anderen Hälfte der Fläche der Probebühne ist das Orchester positioniert; davor eine Schusterwerkstatt, wie man sie auch auf dem Handwerkermarkt in Nürnberg zu sehen bekommt und in klassischer „Meistersinger“-Bühnenanordnung rechts davon das Haus Pogners – allerdings mit einem Balkon anstelle des für Beckmessers Ständchen obligatorischen Fensters zu Evas Zimmer. Ein Bericht von Peter P. Pachl

Was sonst noch wichtig war oder wird …

Radio-Tipp

23:30 bis 00:00 | hr2-kultur | rbbKultur | MDR KULTUR | NDR Kultur | Bremen Zwei | SR 2 KulturRadio | SWR2 | WDR 3
Das Freiberg Saxophone Concerto

Uraufführung der Komposition von Daniel Freiberg zur Eröffnung der 45. Jazztage Freiberg. „…Das Köln Concert von Keith Jarrett hat Köln zwar nicht nötig gehabt, aber immerhin kennt man dadurch überall die Stadt. Dass nun die Stadt Freiberg ein eigenes Konzert hat – das ist eine Sensation!“ (GMD Raoul Grüneis, Mittelsächsische Philharmonie Freiberg). Der New Yorker Komponist und Pianist Daniel Freiberg, geboren in Buenos Aires und mehrfacher Grammy-Gewinner, hat für das Eröffnungskonzert der Freiberger Jazztage, das traditionell von der Mittelsächsischen Philharmonie bestritten wird, ein eigenes Konzert komponiert – das „Freiberg Saxophone Concerto“. Die Interessengemeinschaft Jazz, die in der Bergbau- und Universitätsstadt Freiberg die Jazztage veranstaltet und eine lange Tradition hat, beging damit ihr 45-jähriges Bestehen. Gewidmet hat der Komponist Daniel Freiberg sein Freiberg Concerto der Soloklarinettistin und Saxophonistin der Mittelsächsischen Philharmonie, Anja Bachmann, die in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bühnenjubiläum feiert. Anja Bachmann hat den Kontakt zu Daniel Freiberg in New York gesucht und den Komponisten davon überzeugt, dass er als Träger des Namens „Freiberg“ den Wunsch doch sicherlich nicht abschlagen könne, für sie und die Stadt Freiberg ein Konzert zu komponieren. Daniel Freiberg: Freiberg Saxophon Concerto. Anja Bachmann, Saxophon. Mittelsächsische Philharmonie Freiberg. Leitung: GMD Raoul Grüneis. Aufnahme vom 11. April 2019 aus der Nikolaikirche Freiberg

Die Radiowoche bis zum 4.8.2019

Rückblick

85. Geburtstag von André Prévost · Komponist (* 30. Juli 1934 in Hawkesbury/Ontario)

10. Todestag von Peter Zadek · Regisseur, Theaterintendant (* 19. Mai 1926 in Berlin – † 30. Juli 2009 in Hamburg)


Viele Grüße aus Ihrer Newsletter-Redaktion, Martin Hufner
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