Sehr geehrte Newsletterabonnentinnen und -abonnenten, Kein Ende im Fall Siegfried M.Allerdings steht im Moment nicht der ehemalige Präsident der Hochschule für Musik und Theater München im Zentrum, sondern die Festschrift zu dessen 65. Geburtstag. Und da auch nicht die Festschrift an sich, die vielleicht zwar zur Unzeit herausgekommen ist (so ganz genau weiß man nicht einmal dies), sondern Formulierung aus dem Vorwort, die bereits unser Chefredakteur Juan Martin Koch in seinem Leitartikel der aktuellen nmz zitiert hatte. Im Bayerischen Rundfunk sind unterdessen zwei Gespräche mit einem der Herausgeberinnen der Festschrift, nämlich Dieter Borchmeyer, geführt worden, die man nicht ohne „Gewinn“ hören bzw. lesen dürfte. Das eine Gespräch führte Bernhard Neuhoff, das andere, noch schärfere, Christoph Leibold. Man muss jetzt nicht im Detail die ganzen Unstimmigkeiten wiederholen, die dort von einem Literaturwissenschaftler (!) vorgetragen werden, nur ein paar. In dubio pro waseigentlich? Während sich die Verteidiger jahrelang darauf beriefen, dass Siegfried M. ja nicht rechtskräftig verurteilt worden sei (also im Zweifel für die Angeklagte gelte), erklärt der Literaturwissenschaftler Borchmeyer nun: „Aber ein Gerichtsurteil ist kein Gottesurteil, und es gehört auch zum Rechtsstaat hinzu, dass man sich sein eigenes moralisches Urteil über einen Menschen bilden kann, unabhängig von einem Gerichtsurteil.“ Nun müssen wir wohl auf diese letzte Instanz weiter warten. Aber auch die Formulierungen aus aus dem Vorwort der Festschrift will Borchmeyer als „ironisch“ verstanden wissen. Denn er sehe sich, nein, er sei ein Schüler Thomas Manns, eigentlich zumindest und daher gelte: „Ironie ist immer angemessen. Entschuldigung, ich bin eigentlich ein Schüler Thomas Manns. Für mich ist Ironie das Wichtigste. Das kann man nie ausschalten.“ So wie damals, als er einen Leserbrief schrieb, in dem man lesen konnte: „Gewiss, läge wirklich ein kriminelles Fehlverhalten vor, wie es ihm das Amtsgericht München zur Last legt, würde das auch durch seine bedeutende Lebensleistung schwerlich aufgewogen.“ Aber das ist ja Schnee von gestern, wie wir wissen, sind selbst letztinstanzliche weltliche Urteile ja irgendwie nicht als bindend anzusehen. Zudem habe ja niemand von denen, die zur Festschrift beigetragen habe, Anstoß an dem Vorwort genommen, sagt Borchmeyer. Also alles im grünen Bereich? Das kann man so nicht sagen: Peter Michael Hamel, an der Festschrift beteiligt mit einer Komposition und zugleich Direktor der Musikabteilung der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, distanziert sich durchaus von den im Vorwort erwähnten Formulierungen. In seiner Stellungnahme heißt es: „Als ein solcher bedauert der Direktor der Musikabteilung die ihm erst jetzt durch die Vorveröffentlichung bekannt gewordenen, aus dem Vorwort zitierten Äußerungen.“ Bei den anderen Autorinnen müssen wir vermuten, dass da das Wort Borchmeyers gilt - auch wenn es offenbar nicht immer zu stimmen scheint, was er da sagt. Zumindest nicht mehr! Zusammengefasst: Es ist erschütternd und beklemmend, wie sich eine Gruppe von musikalisch und intellektuell doch einigermaßen wachen Menschen offenbar einer ganz eigenen Form moralischer Gottesanbetung zu folgen scheint. Dass sich darunter eben Namen wie Helmut Lachenmann und Wolfgang Rihm ebenso finden sind wie Koryphäen der Musikwissenschaft (Danuser, Hinrichsen, Gülke) oder Künstlerinnen wie Gerhaher etc. pp. wirft ein eigentümlich trauriges und bitteres Bild auf die Szene dieser Ironikerinnen. Und man kann sich vielleicht nur damit trösten, dass es noch genügend Menschen gibt, die sich erst gar nicht in die Gefahr begeben haben, Beiträgerin zu werden. Und auch, wenn jetzt so manche vielleicht genervt sein wird und sich denkt: Och, nicht schon wieder der Fall M. und seine Folgen, so denke ich, das sind wir allein denen schuldig, die auf diese andauernde Art und Weise der Kreise um Siegfried M. abgekanzelt und verhöhnt wurden und werden. Nämlich den Menschen, die die Sache vor Gericht gebracht haben mit all den Folgen, die das für sie hatte. Jetzt aber zu den News. Der baltische Weg – Die lettische Stadt Rezekne erinnerte mit Konzerten an den Beginn der Unabhängigkeit der baltischen StaatenEs war die bis dato längste Menschenkette aller Zeiten und sie ging ins Guinness-Buch der Rekorde ein. Was war geschehen? Am 23. August 1989 versammelten sich rund zwei Millionen Balten auf den Straßen. Sie reichten sich die Hände und bildeten eine Kette, die von Tallinn über Riga bis nach Vilnius reichte – mehr als 600 Kilometer lang. Friedlich und, vor allem, singend machten sie den sowjetischen Besatzern unmissverständlich klar, dass sie sich die staatliche Unabhängigkeit zurückwünschten, die sie am 23. August 1939, also genau 50 Jahre früher, mit dem Hitler-Stalin-Pakt praktisch eingebüßt hatten. Burkhard Schäfer über den baltischen Weg. Brutalismus aus US-Sicht – Frankfurts „Tamerlano“ kann nur gesanglich beeindruckenInnovation kommt ja oft „von außen“. In der Theatergeschichte finden sich zahlreiche Beispiele, wie die Off-Szene in die etablierten Häuser hineingewirkt hat und oft sogar selber zum Main-Stream wurde. Frankfurts Oper holte nun aus New York einen Händel-Fan, der in Kunstgalerien, Hallen und Festivals inszeniert hat und aufgefallen war. Auch unser Kritiker Wolf-Dieter Peter hoffte auf neue Händel-Aspekte. Was sonst noch wichtig war oder wird …
Radio-Tipp23:03 – 24:00 | Ö1 Das Ensemble die reihe spielte sein letztes Konzert. Das von Friedrich Cerha und Kurt Schwertsik 1958 gegründete Ensemble die reihe war maßgeblich daran beteiligt, dass ein breites Publikum sich im Wien des 21. Jahrhunderts der neuen Musik zuwandte. Es war damals das erste Ensemble für Neue Musik in Wien. Mittlerweile sind es geschätzt rund 30. Im Rahmen von Wien Modern 2019 gibt die reihe ihr Abschlusskonzert mit einem Programm mit Werken von Edgar Varèse, Anton Webern und Kurt Weill, die erstmals von dem Ensemble nach dem zweiten Weltkrieg auf die Bühne gebracht wurden. Ein Abschied, ein Blick zurück und nach vorne, ausgeschmückt mit Hinweisen aus erster Hand an die jüngere Generation, wie sich mit einer künstlerischen Initiative die Welt verändert lässt. Den zweiten Teil dieses Konzertabends vom Sonntag, 3. November 2019, den direkten Vergleich mit der jungen Generation des Ensemble Schallfeld, hören Sie morgen in „Zeit-Ton“. Die Radiowoche bis zum 17.11.2019Bleiben Sie uns treu. Wenn Sie wünschen, empfehlen Sie uns per Mail weiter. Viele Grüße aus Ihrer Newsletter-Redaktion, Martin Hufner neue musikzeitung
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