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Heute jährt sich zum 50. Mal der Todestag von Theodor W. Adorno. Hans-Jürgen Schaal hat sich in der aktuellen nmz mit seinem Konzept einer “informellen Musik” auseinandergesetzt, die er bis in seine Jugend und aus ihr heraus rekonstruiert. Ein paar Sendungen im Rundfunk, die an Adorno erinnern, hat Martin Hufner gesammelt - viel ist es nicht. Da steht allerdings nicht alles drin. Zum Beispiel fehlt Michael Rebhahns “etwas andere Interview”, das man online nachhören kann und das sich eher mit kulinarischen Fragen beschäftigt. Noch mehr vom SWR finden Sie hier. Ebenso schauen Sie bitten unten in den Radiotipp. Wer hat Angst vor Theodor W.?” von Bernhard Neuhoff auf BR-KLASSIK. Adorno und der Jazz” hat ein kleiner Beitrag bei den Österreichischen Kolleginnen von Ö1 zum Gegenstand.

Muss man an Adorno erinnern, wo er doch zum festen Bestandteil der Kulturkritik längst geworden ist? Vielleicht sind seine Analysen längst eingegangen in das tägliche Leben und die aktuellen politischen Auseinandersetzungen. Dass man, wenn man es mal ganz kurz sagen möchte, zuerst denken und dann reden und handeln soll (oder eben auch nicht). Wenn man sich so die Art und Weise politischer Kultur in den sozialen Netzen anschaut, muss man leider feststellen, diese Maxime hat sich leider fast nirgends realisiert. Da ist Getöse und wütende Kritik in jeder Richtung zur Normalität geworden. In der gemeinsam mit Max Horkheimer im amerikanischen Exil verfassten Dialektik der Aufklärung” findet sich ein Absatz mit dem Titel “Propaganda”. Da liest man unter anderem:

Die Propaganda manipuliert die Menschen; wo sie Freiheit schreit, widerspricht sie sich selbst. Verlogenheit ist unabtrennbar von ihr. Die Gemeinschaft der Lüge ist es, in der Führer und Geführte durch Propaganda sich zusammenfinden, auch wenn die Inhalte als solche richtig sind. Noch die Wahrheit wird ihr ein bloßes Mittel, zum Zweck Anhänger zu gewinnen, sie fälscht sie schon, indem sie sie in den Mund nimmt. Deshalb kennt wahre Resistenz keine Propaganda. Propaganda ist menschenfeindlich.“ [Band 3: Dialektik der Aufklärung: Propaganda. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 1570]

In den aktuellen Auseinandersetzungen, scheint es, wird so deutlich um Anhänger gebuhlt, und um Likes und Retweets, dass man in der Massenmeinung sich einzufinden habe. Natürlich sind “Fake News” falsch, aber Fakten werden dann unter Umständen ebenso falsch, allein der Mittel wegen. Wie kompliziert das Verhältnis wirklich ist, zeigt sich beispielsweise auch in Adornos kompositorischem Schaffen, wenn er beispielsweise “Zwei Propaganda-Gedichte von Brecht” (1941) für Singstimme und Klavier setzt, deren Wirkung allerdings minimal ist; nicht etwa wegen kompositorischer Mängel, sondern schlicht, weil sie kaum jemand kennt, geschweige aufführt. Und auch Brecht selbst hatte in einem Gedicht “Über die Notwendigkeit der Propagandaein spezielles Verhältnis zum Thema.

5
Ein guter Propagandist
Macht aus einem Misthaufen einen Ausflugsort.
Wenn kein Fett da ist, beweist er
Daß eine schlanke Taille jeden Mann verschönt.
Tausende, die ihn von den Autostraßen reden hören
Freuen sich, als ob sie Autos hätten.
Auf die Gräber der Verhungerten und Gefallenen
Pflanzt er Lorbeerbüsche. Aber lange bevor es soweit war
Sprach er vom Frieden, wenn die Kanonen vorbeirollten.

6
Nur durch vortreffliche Propaganda gelang es
Millionen davon zu überzeugen
Daß der Aufbau der Wehrmacht ein Werk des Friedens bedeutet
Jeder neue Tank eine Friedenstaube ist
Und jedes neue Regiment ein neuer Beweis
Der Friedensliebe. …

Zurück zu Adorno. Und zu Brecht. Wenn man so will, ist die totale Propaganda zur Lebenswirklichkeit geworden. Ob als Schön- oder Schlechtfärberei. Das Werbeprinzip der Wirtschaft hat sich komplett in der Politik und unseren Lebenswelten niedergeschlagen. Propaganda und Freiheit, das schließt sich aus. Damit also vor allem zurück zum Artikel:  

Für eine befreite Musik – Zum 50. Todestag von Theodor W. Adorno

In den Büchern des Musikphilosophen Theodor (Wiesengrund) Adorno (1903–1969) geht es viel um Kritik und Negation. In seinem Vortrag „Vers une musique informelle“ von 1961 hat er dagegen ganz positiv seinen Traum einer befreiten Musik beschrieben. Eingepflanzt wurde ihm dieser Traum schon in seiner Jugend. Hans-Jürgen Schaal erinnert.

Endstation Tankstelle – Luigi Cherubinis „Médée“ bei den Salzburger Festspielen

Im aktuellen Opernprogramm der Salzburger Festspiele haben antike Mythen gleich dreifach ihren Platz: Zur Eröffnung mit Mozarts „Idomeneo“ und jetzt mit Cherubinis „Médée“. Enescus „Oedipe“ wird noch folgen. In der „Médée“ des für seine Überschreibungen bekannt gewordenen Simon Stone ist das Ende ein Amoklauf an der Tankstelle. Obwohl die nicht – wie es wohl im Film wäre – in die Luft fliegt. Ein Lagebericht von Joachim Lange

Kontinuität und Neuanfang: die Singer Pur Tage 2019

Eigentlich war alles wie immer: In der voll besetzten Kirche auf dem Adlersberg bei Regensburg ertönte bei freiem Eintritt himmlische Vokalpolyphonie, durchsetzt von neuer Musik und Orgelklängen. Aber eben nur eigentlich: Denn Jahr eins nach dem Ende der Stimmwercktage bedeutete gleichzeitig Jahr eins der Fortsetzung des wunderbaren Festivals in Form der Singer Pur Tage. Juan Martin Koch war dabei.

Was sonst noch wichtig war oder wird …

Radio-Tipp

22:05 bis 23:00 | BR-KLASSIK
Horizonte: Wer hat Angst vor Theodor W.? – Eine Adorno-Revue

Ich hab ihn ja nie leiden mögen“ – Mit diesem knappen Urteil über Theodor W. Adorno hat Arnold Schönberg vielen Musikliebhabern aus der Seele gesprochen. Noch immer löst der Name Adorno emotionale Kontroversen aus. Mit seinem eigenwilligen Stil, seinen komplexen dialektischen Gedankenfiguren macht er es seinen Lesern nicht leicht. Trotzdem hat er eine ganze Generation von Komponisten, Kritikern und Dramaturgen geprägt. Doch sind Strawinskys Partituren wirklich reaktionär? Konnte Sibelius einfach nicht komponieren? Oder ging es Adorno in Wahrheit um Musikpolitik? Ist er an den Irrwegen der Avantgarde schuld? Wollte er seine Frustration auslassen, weil seine Karriere als Komponist fehlschlug? Oder (diese Variante fände Adorno selbst wahrscheinlich am schlimmsten) ist er unversehens zum allseits gewürdigten Klassiker geworden? Im Gespräch mit Adorno-Fans und -Hassern, Komponisten und prägenden Figuren des heutigen Musiklebens geht Bernhard Neuhoff diesen Fragen nach.

Die Radiowoche bis zum 11.8.2019

Rückblick

50. Todestag von Theodor W. Adorno · Philosoph, Soziologe, Musikwissenschaftler, Komponist, Musiktheoretiker (* 11. September 1903 in Frankfurt am Main - † 6. August 1969 in Visp/Kanton Wallis)


Viele Grüße aus Ihrer Newsletter-Redaktion, Martin Hufner
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